Einblicke in das Leben eines fünfköpfigen Haushalts zu Corona Zeiten
- LEARN'OR'LOSE
- 21. Apr. 2020
- 5 Min. Lesezeit
Ulli Dittgen-Noweski, wohnhaft in Berlin, Mutter & Gründerin der Learn or Lose GmbH

Wir sind in einer Krise. Jaja, soweit so gut. Der Informationsbedarf ist riesig. Alle wollen besser verstehen, was da passiert, wie sich das Virus verhält, wann es Lockerungen gibt, wie die Zuwendungen vom Staat für die eigene Situation sind, wie man diese nicht enden wollende Zeit überlebt. Und all das ist natürlich relativ, wenn man bedenkt, dass wir in einem Sozialstaat leben, wo die Politik glücklicherweise die scheinbar richtigen Entscheidungen getroffen hat – oder waren es doch die Werte der Deutschen, die von Disziplin über Ordnung und Sauberkeit dann doch den Unterschied zu den südeuropäischen Ländern machen? Ich weiß es nicht – die Mutmaßungen und Meinungen gehen Querbeet. Apropos Querbeet, es gibt immer noch genügend Nahrung in den Supermärkten. Dürfen wir in unserer Situation überfordert sein? Geht es uns wirklich schlecht? Unsere Familie ist momentan noch vom Virus verschont geblieben. Wie wird es erst, wenn – darüber möchte ich nicht nachdenken. Klar ist, wir sind alle betroffen – verbindet uns das solidarisch? Mhhh… nach 5 Wochen in Isolation weiß ich zwar, wir kommen alle auf für das, was uns da gerade passiert und irgendwie geht es uns allen ans Leder aber solidarisch auch im Sinne von Familien fühlt sich das alles nicht an. Auch hier zeigt sich, wer die bessere Lobby hat, ist klar im Vorteil. Familien gehören eindeutig nicht dazu.
Ich selbst, falls das gleich als Kritik kommt, bin privilegiert, weiß, verheiratet mit 3 Kindern (2, 6 und 9 Jahre alt) und einer erfolgreichen Karriere, emotionalem Support durch die Großeltern und einem lieben Freundeskreis der mitfühlt. Ich bin ein positiver Mensch, freue mich über gute Nachrichten, gerade in der jetzigen skurrilen Zeit und muss aber ehrlichen Herzens konstatieren, dass ich mir auch nichts schönreden will – die gefühlte Entschleunigung kann ich zum Beispiel zu 0% feststellen. Naja, die persönliche Wahrnehmung bleibt einfach individuell, wenn man 3 kleine Erdenbürger mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen um sich herum hat und nebenbei seinem Beruf nachkommen will, ist das schon mit Schule und Kitabetreuung mit der heißen Nadel gestrickt, bevor Widrigkeiten wie die Schließungen dazukamen. Ich könnte mir vorwerfen lassen, dass unser Erziehungsstil zu lax ist und wir nicht mit Drill und Peitsche die Kinder ohne Widerworte dazu bewegen zu tun, was wir wollen. Auch lese ich immer wieder unglaubliche Kommentare unter Briefen von verzweifelten und erschöpften Eltern an die Politiker, die meinen, dass man „sich mal nicht so haben soll“, „die anderen schaffen es ja wohl auch“ und „es geht immer noch schlimmer“ bis zu „mimimimi – heul doch – alles eine Frage der Organisation“. Im Fernsehen sind dann nette Lehrerinnen zu sehen, die einem weis machen wollen, dass Home-Schooling ja nicht von den Eltern überwacht werden muss, sondern von den Lehrern methodisch und didaktisch so aufbereitet ist, dass die Kinder sich die Aufgaben selbst erklären. Mir ist schleierhaft, wie das bei einem Erstklässler (meine Tochter ist einer), funktionieren soll. Nein, Erstklässler lernen gerade erst Lesen und Schreiben. Sie sind nur ansatzweise vertraut mit den Schulmethoden und Aufgabenstellungen und finden sich auch nach einem halben Jahr Schule erst in das Schulleben ein. Das funktioniert dann in der 4. Klasse schon besser (bei meinem großen Sohn) aber je nach Temperament und Persönlichkeit muss man eben auch bei einem 9-Jährigen schauen, was die Aufgaben für den Tag sind, wie schludrig sie schnell abgearbeitet wurden um dem weitaus spannenderen Hörspiel zu lauschen oder sich anderweitig abzulenken. Und dann ist da noch unser Jüngster, der riesig im Vorteil ist, mit zwei Geschwistern zu Hause und irgendwie immer einem Erwachsenen, der um ihn herum wuselt aber sich leider nur ganz kurz mal alleine beschäftigt, nicht versteht, warum die großen Kinder nicht dauernd mit ihm spielen - wo sie doch da sind - und wenn man ihn für 3 Minuten dann nicht irgendwo hört, man sich mit einem unguten Gefühl auf den Weg macht, ihn zu suchen. Heute, beim Einkauf ausladen, habe ich kurz nicht hingesehen und musste danach mit Verdünnung den Ersatzautolack, den wir netterweise von der Lackiererei nach einem nicht selbst verursachten Schaden bekommen haben, aus dem Cockpit entfernen und meinen Sohn grundreinigen. Das Video auf Social-Media-Kanälen hätte für große Erheiterung und Ablenkung gesorgt. Ich habe geheult, weil man das neben allem nicht auch noch braucht.
Die Bewährungen als Vollzeit Putzfrau, Koch, Spielkamerad, Lehrerin und Erzieher, motivierender Elternsprecher (mit viel Verständnis für Familien, die es noch sehr viel härter trifft als uns) und tanzender, spaßiger Mama / Papa, damit die Stimmung nicht kippt, fordert einfach seinen Tribut. Um ehrlich zu sein, die NEUEN Bewährungen, weil eigentlich sind mein Mann und ich nämlich beide Vollzeit berufstätig. Eigentlich, weil das jetzt überhaupt nicht geht. Und wahrscheinlich ginge es schon ein wenig besser, wenn wir uns noch kaputter machen würden, wenn es was bringen würde sich krankschreiben zu können – was einem Selbstständigen aber eben nicht hilft und man auch kein Verständnis vom Arbeitgeber bekommt (ich sehe sie schon die „mimimimi“ Kommentare). Fakt ist, wenn man ständig unterbrochen wird, dann kriegt man einfach nicht viel hin. Und die Kraft und auch die Motivation lassen nach 21 Uhr, wenn die Kinder dann endlich im Bett sind, aber nicht gleich schlafen, sondern noch etwas trinken, noch einmal Pipi müssen, wissen wollen, wie sich Sex anfühlt, oder Weltschmerzprobleme besprechen wollen (wie den Klimawandel), auch schlagartig nach.
Am Anfang denkt man noch, das ist aufholbar, die Zeit ist ja auch schön als Familie zusammen, man kann Ausflüge machen und endlich mal die Kekse backen, die wir immer backen wollten. Wir haben so viele kleine Dinge in der Wohnung endlich mal gemacht, zu denen wir uns ohne Corona die Zeit nicht genommen hätten, weil wir blauäugig dachten, dass das alles nur vorübergehen ist, bzw. sich alles einspielt – aber hier spielt sich nichts wirklich ein. Denn mit Kindern stellt man seine eigenen Bedürfnisse immerzu hinten an. Nur die Kinderbetreuung für unsere 3 Racker, nehmen uns beide (einer ist Lehrer für die Großen), der andere Erzieher für den Kleinen, schon ziemlich in Beschlag, wenn das alles wäre, was man an einem Tag bewältigen müsste – neben den vielen Anrufen beim Ikea Kundencenter denn natürlich geht jetzt der neue Herd kaputt, dann muss ich eingestehen, das wäre zumutbar und machbar. Aber schon meldet sich das schlechte Gewissen und das Bewusstsein seinem Job in keiner Weise gerecht zu werden, die Themen einfach nicht voran zu bringen und somit seine Existenzgrundlage zu verlieren.
Wir Familien, die die Betreuungsmöglichkeiten wie Kita und Schule / Hort nutzen, wir tun das nicht, weil wir unsere Kinder nicht mögen oder keine Zeit mit ihnen verbringen möchten, sondern weil wir einen Beruf und im Bestfall auch eine Berufung haben, und so unser Wissen und Können für das Gemeinwohl einbringen, und wenn nur in Form von Steuern um den Minimalbeitrag zu illustrieren.
Ich kann gerade noch, aber nicht mehr lange. Die Situation zehrt enorm. Die Zündschnüre bei meinem Mann und mir sind kaum noch existent und der Stresslevel wird auch vor den Kindern kaum noch verborgen, angeheizt vom verständlichen Lagerkoller und den - nach 4 Wochen - unsäglichen Streitereien der Kinder untereinander. Die Perspektivlosigkeit und die fehlende Lobby von Familien hat mich schon so oft bei politisch diskutierten Themen in unserem Land geärgert – denn wer von uns hat denn wirklich noch Zeit sich neben Beruf und Familie aktiv einzubringen? Dabei wäre das so notwendig!!
PS: Unsere Kita ist klein mit 24 Kindern – 15 in der großen Gruppe, die immer dienstags und donnerstags zwischen 9-15Uhr den Wald entdecken – mit dem Sommer vor der Tür, kann so etwas nicht ausgeweitet werden ohne das Ansteckungsrisiko enorm zu vergrößern? Die kleine Gruppe mit 9 Kindern ist auch nicht riesig. Warum sollte es nicht Möglichkeiten geben, individuelle Lösungen zu finden? Warum sollte man Erstklässler, bei denen die Basis für die Schulzeit gelegt wird und die ihre Lehrer so viel mehr brauchen als jede andere Jahrgangsstufe, als allerletztes berücksichtigen? Es will mir einfach alles nicht einleuchten.
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